Warum viele meiner Coachings oder Seminare mit ein paar Minuten Stille beginnen? Und was das mit gelingenden Veränderungsprozessen im Kleinen und Großen zu tun hat? Eine Menge. Allerdings nichts mit Wellness oder Esoterik.
Mythos Meditation
Menschen sitzen mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen. Finger in einer diesen Buddha-Statuen-Haltungen, im Hintergund Bambus oder Zengarten. So ähnlich sieht Meditation vor dem geistigen Auge vieler Menschen aus, und auch auf den Werbefotos mancher Yogaschulen oder Ayurveda-Reiseanbieter. Meditieren ist Entspannung, so die Botschaft.
Kontrastprogramm: Meine erste Meditationserfahrung. Schlichte Betonhalle. Musik aus einem Autoradio dringt durch die weit geöffneten Fenster – es ist heiß an diesem Nachmittag in Sri Lanka. Nur der Sitz meines Plastikstuhls ist unangenehm kalt. Und noch bevor der Mönch in orangeroter Robe den ersten Satz gesagt hat, hätte ich bereits gern: Eine bessere Sitzgelegenheit. Ruhe. Ein schöneres Ambiente. Und weniger altkluge Mitschülerinnen, die stolz von Trancereisen und Krafttieren erzählen.
Das Leben läuft schon
Wir wollen ständig irgend etwas. Und irgendetwas nicht. Das Gute soll bleiben. Das Schlechte soll gehen. Was gut und was schlecht ist, erzählt der Plappermann in unserem Kopf in einer Tour. Wir machen uns im Kopfkino die Welt, sie uns gefällt. Oder gefallen würde. Damit sind wir geistig so beschäftigt, dass wir leider eine Sache verpassen: Wie die Welt hier und jetzt, gerade einfach so, IST. Das Leben läuft schon. Nur: Sind wir dabei?
Meditation hat wenig mit Wellness zu tun, aber viel mit genau dieser Frage: Sind wir „tuned in, or tuned out“ (Nipun Metha)? Je mehr wir uns in unseren Gedanken verlieren, desto weniger ist uns bewusst, dass sie nur das sind: Gedanken. Nicht die Wirklichkeit. Wir aber verlieben uns in unsere Ansichten, Auffassungen, Meinungen, Logiken wie Narziss in sein eigenes Spiegelbild – und verlieren damit immer mehr die Fähigkeit, uns selbst noch von Außen zu betrachten oder in die Weltbilder anderer hineinzuversetzen und auch andersartige Meinungen nachvollziehen zu können: Der Riegel an einem mentalen goldenen Käfig.
Unsere DNA braucht ein Update
Nicht nur, dass wir damit eine Menge Sozialkompetenz einbüßen und unsere Beziehungen leiden. Auch unsere kognitiven Möglichkeits- und Lösungsräume schrumpfen. Denn wir brauchen die „Öffnung des Denkens“ (Otto Scharmer), um uns immer wieder von neuen Dingen berühren zu lassen und damit in einer sich schnell wandelnden Welt handlungsfähig zu bleiben: Bleibt unsere Art zu denken, unsere mentale DNA immer die gleiche, reproduzieren wir nur immer mehr vom selben. In unserer Innenwelt, aber auch ganz handfest im Außen. Und das reicht nicht für kreative, innovative Antworten auf die komplexen Fragen unserer Zeit.
Unsere individuellen und kollektiven Routinen brauchen ein Update, wenn wir zu neuen Ergebnissen kommen wollen. Und das wäre angesichts unseres persönlichen Unglücks mitten im Überfluss und angesichts des Zustandes unseres Planeten nicht nur wünschenswert, sondern überlebenswichtig.
Meditieren als inneres Gärtnern
Meditation gilt seit zweieinhalbtausend Jahren als Königsweg, sich von der Verliebtheit, dem Verhaftet-sein in den eigenen Gedanken zu lösen und ein mind set zu kultivieren, das konstruktives, lebensdienliches Handeln fördert. „Es ist wie in einem Garten“, erklärt unser fröhlicher Mönch in seiner orangeroten Robe zwischen den Plastikstühlen in der singhalesischen Mittagshitze: „Die Samen, die wir wässern, gehen auf und wachsen. Wenn wir alles wuchern lassen, erdrückt das Unkraut Blumen und Gemüse. Nichts gedeiht richtig, wir ernten nicht die Früchte, die uns gut tun. Wir wählen also aus, was wir gießen und pflegen – und was nicht.“.
Die kluge Gärtnerin, der kluge Gärtner – sie beobachten, was sich da entwickelt im inneren Dschungel, machen Bestandsaufnahme. Wählen aus, was gewässert und genährt wird, und werfen auf den Kompost, was lieber nicht groß wird – und das am besten, bevor es tiefe Wurzeln geschlagen hat oder heranreift und weitere Samen verstreut.
Kein Unkraut auf den Nachbar-Acker
Das Bild passt gut: Wenn wir durch Meditation lernen, ärgerliche, kleinliche Gedanken im Keim zu erkennen und nicht mehr zu nähren, dann verhindern wir, dass Ärger, Enge, Geiz oder übermäßige Sorgen sich in uns selbst ausbreiten und schließlich auch auf andere übergreifen. Und das ist der Punkt, an dem Meditation mehr wird als ein Streben nach ganz persönlicher Gelassenheit: Achtsame Selbstführung ist aktiver Umweltschutz. Und eine mächtige Intervention ins soziale Gefüge: Denn so wie Aggression oder Angst sozial anstecken und sich kollektiv hochschaukeln können, so befeuern sich Menschen auch gegenseitig mit Achtsamkeit, Wohlwollen, Empathie. Wenn wir diese in uns selbst kultivieren, kultivieren wir sie in der Gesellschaft.
Zu meditieren ist also kein weltabgewandter Rückzug aufs Yogakisschen. Es ist ein politischer Akt, ein Akt sozialen Engagements, der Courage – Herzhaftigkeit braucht (Ha Vinh Tho). Denn es bedarf des Mutes und De-mutes, sich radikal ehrlich anzuschauen, was da in einem ist – oder eben auch (noch) nicht. Jon Kabat-Zinn formuliert es drastischer: „Meditation ist nichts für Feiglinge, nichts für jene Menschen, die aus Gewohnheit die leise Stimme der Sehnsucht ihres Herzens ignorieren.“.
Meditation for future
Wer lernt, die leisen Stimmen in sich selbst zu hören und ernst zu nehmen, der wird es auch bei der nächsten Gruppendiskussion oder Bundestagsdebatte tun. Dem Leisen, den Minderheiten eine Stimme zu geben, damit auch die Weisheit im Widerstand beitragen kann zu einer besseren Gesamtlösung für alle – das braucht ein großes Ohr, ein weites Herz, einen offenen Geist und einen scharfen, integrativen Verstand.
Ich stimme Wolfgang Niedecken völlig zu: Arsch hoch, Zähne auseinander. Aber davor bitte: Mund zuklappen und den Allerwertesten immer wieder runter auf den Boden bringen. Damit wir nicht aus blinder Wut „gegen“ Dinge kämpfen, sondern mit bewusster Courage „für“ etwas. Der Weg aus der Krise führt nach innen (Ha Vinh Tho).
Dabei statt nur mittendrin
Aber muss man dazu denn jetzt die Beine kreuzen? – „Sie können genau so gut alle Viere von sich strecken“, lacht der Mönch in der Betonhalle und lümmelt sich über einen Plastikstuhl. Wir lachen. – Ja, auch lachen darf man. Denn, so betont er, während er den Stuhl zusammenklappt und wieder auf dem Betonboden Platz nimmt: „Das ganze Leben ist Meditation“. Wenn du nicht nur mittendrin bist. Sondern dabei.
Aktuelle Workshops, in denen du ins Meditieren reinschnuppern kannst: Meditieren für Anfänger*innen
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